Unterschiedliche Wahrnehmung des Klimawandels?
Das globale Phänomen des Klimawandels wird oft auch als Weltproblem thematisiert. Aber erreicht man damit die Menschen? Entspricht das ihrer persönlichen Wahrnehmung? Diesen Fragen wird in diesem Projekt nachgegangen, und zwar am Beispiel der Halbinsel Nordstrand im schleswig-holsteinigschen Wattenmeer und auf der Insel Sulawesi in Indonesien. Die Stiftung ist überzeugt, dass man für die Bekämpfung des Klimawandels Menschen so erreichen muss, wie sie die Wirklichkeit um sich herum erleben. Sie unterstützt deshalb dieses Vorhaben mit 1.000 Euro.
Antragsteller
Tobias Oßmer
Masterstudent an der Universität Bremen
und am Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT)
im Studiengang International Studies in Aquatic Tropical Ecology - ISATEC
Projektbeschreibung
Meeresspiegelanstieg, ein Symptom der Klimaveränderung, konfrontiert die Menschheit mit dem Dilemma der kollektiven Mobilisierung. Wie wir das Geschehen um uns herum wahrnehmen und bewerten, ist abhängig von unserem kulturellen Hintergrund. Folgerichtig sagte Elinor Ostrom „one size does not fit all“ (Ostrom, 2010). Um kollektive Mobilisierung zu ermöglichen, müssen wir Menschen verschiedener Kulturkreise spezifisch und angemessen adressieren können. Culturally Embedded Cognitive Biases (CECB) beschreiben einige der Filter, die zur Verzerrung unserer Wahrnehmung führen (Moser et al. 2022). In diesem Projekt sollen die fundamentalen Unterschiede der Wahrnehmungsverzerrung im interkulturellen Vergleich, geäußert durch CECB, unter die Lupe genommen werden, um aus dem Ergebnissen abzuleiten, wie sich Kommunikation und Motivation zur Teilnahme kulturspezifisch optimieren ließen. Die CECB zu den Umständen ihrer sozio-ökonomischen und gesellschaftlichen Herkunft zurückzuverfolgen, kann es ermöglichen, die Ansprache der betroffenen Menschen zu optimieren und Teilnahmemotivation sowie Kooperation zu bestärken. Ein tiefgreifendes, grundlegendes Verständnis der Wahrnehmung von Umweltveränderungen ist unverzichtbar, um entsprechende Strategien zu entwickeln. Was hält Menschen von der Einhaltung und Partizipation an Eindämmungs- oder Anpassungsmaßnahmen ab? Was steht der globalen Kooperation im Wege und wie ließe sich ein CO2 freundlicher Lebensstil attraktiver propagieren?
So unterschiedlich die Situation auf Nordstrand in Schleswig-Holstein und auf Sulawesi auch sein mag, der Anstieg des Meeresspiegels, die Erhöhung der Wassertemperaturen etc., alles dies betrifft die an der Küste lebenden Menschen. Aber unsere Wahrnehmung ist durch unser kulturelles Erleben geprägt, vielleicht sogar verzerrt. Insbesondere zwischen kleineren Gesellschaftskreisen und WEIRD Gesellschaften (Western, Educated, Industrialized, Rich, Democratic) werden erhebliche Differenzen psychologischer Prozesse vermutet. Lassen sich die oben beschriebenen CECB zu ihren sozio-ökonomischen Ursprüngen in den jeweiligen Kulturen zurückverfolgen und die Filter, durch die wir die Realität wahrnehmen, kontextualisieren? Laut Daniel Kahneman läuft ein Großteil unserer Verarbeitung von Umwelteinflüssen schnell, automatisch und unbewusst ab. Daraus folgt, dass ein relevanter Teil menschlichen Verhaltens weder rational und logisch, noch völlig von uns selber verstanden ist. Um Wahrnehmungsverzerrungen hinsichtlich des Meeresspiegelanstiegs zu verstehen, gilt es also, bestmöglich über die Dimension des Bewussten hinaus zu forschen.
Es besteht die Hoffnung oder Vermutung, dass sich Menschen eher mobilisieren lassen, wenn man ihre Art des Verständnisses besser zuordnen kann. In dem Projekt werden semistrukturierte Interviews geführt. Hinzu kommen Diskussionen in Fokusgruppen und Interviews mit Kindern, in denen auch Raum für den Ausdruck über das Malen von Bildern gegeben wird.
Ein tieferer Einblick in die Sphäre der Wahrnemung von Umweltveränderungen am Beispiel des Meeresspiegelanstiegs könnte einen wichtigen Beitrag zu unserem Verständnis leisten und uns ermöglichen zu verstehen, was es wirklich ist, das Menschen zum Aktionismus antreibt oder sie auch vom Handeln abhält. Welche Rolle spielen kulturspezifische Institutionen und Bräuche? Inwiefern ist unser Verhalten von unserem sozio-ökonomischen Status abhängig, und welche Verhaltensweisen werden folglich ermutigt und gehemmt? Wie kommen wir mit dem ungreifbaren Gefühl der kollektiven Verantwortung zurecht, mit dem der globale Meeresspiegelanstieg uns konfrontiert? Tobias Oßmer möchte die kulturspezifische Manifestation der CECB entwirren, um Kommunikationsstrategien zu optimieren und die Teilnahmebereitschaft an einem umweltfreundlicheren Lebensstil zu erhöhen. Sollten sich psychologische Denkmuster kulturübergreifend maßgeblich unterscheiden, muss dies in der Planung und Durchführung von Maßnahmen hinsichtlich des Meerespiegelanstiegs als ein Symptom des Klimawandels berücksichtigt werden, um Erfolge zu erzielen. Ein Problem globalen Umfangs lässt sich nur lösen, wenn globale Kooperation gewährleistet ist. Um diese zu gewährleisten, gilt es wiederum kulturelle Diversität anzuerkennen und kulturspezifische Strategien zu entwickeln. Die Bereitschaft zur Bekämpfung und Anpassung an den Klimawandel muss deutlich erhöht werden. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die schiere Verfügbarkeit von Informationen nicht ausreicht, um die Menschheit im Kollektiv zu mobilisieren. Wenn wir den Menschen als Teil des ökologischen Systems verstehen, muss das Verhalten des Menschen verstanden werden.